COLD CASE – Tod eines Legionärs
Neue Sonderausstellung zeigt erstmals den römischen Schienenpanzer
Bramsche/Kalkriese. Im Jahr 2018 bei Ausgrabungen im Museumspark entdeckt, hat dieser Fund nicht nur in Fachkreisen für Aufsehen gesorgt. Jetzt ist es endlich so weit: In der Sonderausstellung „COLD CASE – Tod eines Legionärs“, die ab dem 10. Juni bis zum 5. November 2023 zu sehen ist, zeigen Museum und Park Kalkriese erstmals den bislang ältesten und weltweit einzig erhaltenen römischen Schienenpanzer der Öffentlichkeit.
Es ist eine Seltenheit, wenn heutige Kriminalfälle nach Jahrzehnten noch aufgeklärt werden können. Dagegen scheint das Vorhaben der neuen Sonderausstellung beinahe unmöglich: Wie kann es gelingen, über 2000 Jahre zurückzublicken? „Ausgehend von dem spektakulären Rüstungsfund zeigen wir, wie die Archäologie immer wieder versucht, das Unmögliche dennoch möglich zu machen“, so Geschäftsführer Dr. Stefan Burmeister.
„Von Anfang an haben wir diesen Fund in den Mittelpunkt unserer Arbeit gerückt und vielfach Neuland betreten. Das zeigen wir in der Ausstellung – anschaulich und nachvollziehbar mit vielen hochkarätigen Funden. Darunter Objekte aus dem Kotsanas Museum aus Athen, den staatlichen historischen Museen Stockholm, dem archäologischen Zentrum Ribemont-sur-Ancre und vielen namhaften Museen in Deutschland und Österreich. Es ist uns gelungen, zahlreiche hochkarätige Stücke nach Kalkriese zu holen. Was mich besonders freut ist, dass wir Funde aus der Schlacht von Visby ausleihen konnten. Diese Objekte waren noch nie außerhalb von Schweden zu sehen – das ist wirklich besonders“, so Burmeister weiter.
Der erste Teil der Ausstellung führt direkt in die Restaurierungswerkstatt. Fünf Jahre sind seit der Bergung vergangen. Fünf Jahre mit viel Arbeit für die Restauratorinnen. Platte für Platte wurde freigelegt und in einem aufwändigen Prozess wieder zusammengefügt. Diesen Prozess können Besucherinnen und Besucher begleiten: mit interaktiven Medienstationen, aber auch Mitmachstationen, an denen man selbst zum Restaurator werden kann.
Und dann taucht er vor einem auf: Der römische Schienenpanzer in voller Größe. „Ein faszinierendes Objekt, das durch seine Anmutung und die vielen Details alle Blicke auf sich zieht“, erklärt Landrätin Anna Kebschull, Landkreis Osnabrück. Hier wird auch das Fundumfeld des Schienenpanzers näher betrachtet. Vieles plünderten die siegreichen Germanen, aber an der Ausgrabungsstelle fanden sich neben dem Schienenpanzer ein Pilum, die Reste eines Maultiers mit einer Kette und eine Dolchscheide.
Ungewöhnlich ist der Fund einer römischen Halsgeige, ein Fesselungsinstrument für Gefangene und Sklaven. Was können wir daraus schließen? Viele Fragen kommen hier auf. Eine 3D-Anwendung gibt einen vertiefenden Einblick. Besonderes Highlight: eine der fünf Blockbergungen aus dem Umfeld des Schienenpanzers ist im noch nicht komplett freigelegten Zustand in der Ausstellung zu sehen – das ist Archäologie live. In der Ausstellung sind Räume und Perspektiven entstanden, die der Geschichte des Schienenpanzers erlebnisreich nachgehen und Einblicke vermitteln. Farbliche Akzente gliedern die räumliche Erzählung.
Im Schienenpanzerpanorama zeigen sich die Stärken und Schwächen und auch die verschiedenen zeitlichen Entwicklungsstufen dieser Körperbepanzerung. Schon in der Bronzezeit baute man Rüstungen aus beweglichen Schienen. Ein Prinzip, das nicht nur beim römischen Schienenpanzer, sondern auch bei mittelalterlichen Rüstungen und im Ersten Weltkrieg aufgegriffen wurde. In der Ausstellung wird das anhand außergewöhnlicher Objekte nachvollziehbar.
Mit einer Replik des Schienenpanzers von Dendra startet nicht nur das Panorama, sondern auch die Geschichte der Rüstungen in Europa. Ein sogenannter Plattenrock aus Visby, Schweden, zeigt, wie Rüstungen sich angesichts stärker werdender Waffen verändern mussten. Viele weitere Rüstungen aus Coburg oder aus Grotticelle, Italien, ergänzen die Zusammenschau. Nicht fehlen darf hier eine Tuschzeichnung von Albert Uderzo aus einem Asterix-Comic von römischen Legionären mit Schienenpanzer und auch ein Schienenpanzer aus dem Fundus der Netflix-Serie Barbaren ist zu sehen. An den Familiensonntagen bietet sich überdies für Kinder die Möglichkeit, Repliken anzuprobieren.
Eine zentrale Frage der Ausstellung: Warum blieb der Schienenpanzer auf dem ansonsten gründlich geplünderten Schlachtfeld in Kalkriese liegen? Triumphritual? Zufall? Objekte aus ganz Europa helfen bei der Suche nach einer Antwort. Besonders beeindruckend sind die Funde aus Ribemont-sur-Ancre. Hier wurde nach einem Krieg unter keltischen Stämmen ein Schlachtfeld zum kultischen Heiligtum. Aber auch die Knochenrituale aus Alken Enke, Dänemark oder die Opfergaben an die Götter aus Thorsberg, Schleswig-Holstein, zeigen Rituale an Leichen und Knochen, die sich uns heute nicht mehr erschließen. Eine Darstellung aus der Koberger Bibel aus dem Jahr 1483 und eine Postkarte mit der Zurschaustellung des getöteten Mussolini und seiner Vertrauten aus dem Zweiten Weltkrieg liefern mögliche Erklärungsansätze. Für die Zufallsthese werden Funde vom Harzhorn und aus Visby, Schweden, herangezogen und gezeigt. Und auch die Kalkrieser Archäologen Dr. Stefan Burmeister und Ingo Petri stellen sich der Debatte und begegnen den Besuchern virtuell in der Ausstellung.
Einer weiteren Frage stellt sich die Ausstellung: Wie blicken wir auf Gewalt und Gewaltdarstellungen? Steht hier Faszination vor Fakten? Neigen Menschen dazu, grausame Erklärungsansätze für eher plausibel zu halten? Wo liegt die Grenze zwischen wissenschaftlichem Interesse und lustvoller Gewaltfaszination? „Als Ausstellungsmacher haben wir uns intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt, denn wir stellen Menschenknochen aus und zeigen Überlieferungen historischer Gewalt an Menschen. Das vergangene Leid dieser Menschen darf nicht zum faszinierenden Unterhaltungswert verkommen. In einem Reflexionsraum zeigen wir, wie detailliert – fast genüsslich – man sich schon in der Gottfriedschen Chronik die Grausamkeiten am Ende der Varusschlacht vorstellte. Eine Reflexion über diesen problematischen Blick auf Gewalt wollen wir auch mit drei künstlerischen Kurzfilmen ermöglichen und unsere Besucher:innen anregen, sich selbst zu beobachten.“, erklärt Kurator Martin Berghane.
Zusätzlich bieten fünf Erklärkioske mit Expertenvideos Raum für einen Perspektivwechsel. Wie blickt eine Krimiautorin auf das Geschehen? Welche Schlüsse zieht der Militärhistoriker? Was kann der Psychoanalytiker beitragen? Und was sagt der Afghanistanveteran? Vier reale Stimmen kommen hier zu Wort: Petra Oelker, Bestsellerautorin aus Hamburg, Prof. Dr. Christoph Rass von der Universität Osnabrück, Prof. Dr. Timo Storck, Psychologische Hochschule Berlin und Wolf Gregis, Veteran und Autor. Dies und vieles mehr laden die Besucher:innen ein, sich an der archäologischen Debatte zu beteiligen. Und am Ende vielleicht selbst Schlüsse zu ziehen und aufzuschreiben.
Die Sonderausstellung „COLD CASE – Tod eines Legionärs“ wird gefördert von der Stiftung der Sparkassen im Landkreis Osnabrück, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, der Kulturstiftung der Länder, und der Ernst von Siemens Kunststiftung. Als Sponsoren aus der Region konnten die Fritz Rudolf Künker GmbH und Co. KG und INTECON – Treuhand und Wirtschaftsberatung gewonnen werden. Die aufwändige Restaurierung des Schienenpanzers wurde dank einer Förderung der Stiftung Niedersachsen möglich.
Die 3D-Anwendungen sind in Kooperation mit der Hochschule Osnabrück, Fakultät Ingenieurwissenschaften und Informatik entstanden. Studierende am Institut für Kunst/Kunstpädagogik der Universität Osnabrück haben sich in einem Seminar mit dem Thema Gewaltdarstellung auseinandergesetzt. Entstanden sind die Inszenierungen für den Reflexionsraum.
Die Ausstellung wurde von Dr. Stefan Burmeister und Martin Berghane gemeinsam mit Gabriele Dlubatz, Ingo Petri und Christiane Matz kuratiert. Das zentrale Motiv der Ausstellung – ein Legionär im Schienenpanzer – ist vom britischen Röntgenkünstler Nick Veasey umgesetzt worden.
Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Vorträgen und Angeboten für Kinder begleitet die Ausstellung. Weitere Informationen unter www.kalkriese-varusschlacht.de.
Foto: Manfred Pollert