Der Hund spielt einen Mann

Weserrenaissance-Museum Schloss Brake

Der Hund spielt einen Mann – Performance im Schloss Brake zur Sonderaus-stellung “#pARTicipate – Mach Dich zum Kunstwerk”

Lemgo. Mit Wunderkammern kennen sie sich aus im Schloss Brake. Die zusammengewürfelten Sammlungen kleiner Kostbarkeiten und Kuriositäten waren eine Spezialität der Renaissance. Nur folgerichtig, dass das Weserrenaissance-Museum jetzt in Zusammenarbeit mit dem Theaterlabor Bielefeld für seine Sonderausstellung ein solches Kabinett eingerichtet hat.

In der aktuellen Sonderausstellung “pARTicipate – Mach dich zum Kunstwerk”, über die hier bereits berichtet wurde, hängen 19 Reproduktionen berühmter Kunstwerke, die Leerstellen enthalten, die das Publikum mit dem eigenen Körper füllen kann. So kann man hineinsteigen in die Kunst und sich und sie neu inszenieren.

Genau nach diesem Grundsatz haben Siegmar Schröder und Isabell Remer vom Theaterlabor zu jedem der Bilder eine künstlerische Aktion geplant, keine länger als drei Minuten. Das Publikum wurde von Bild zu Bild geführt. Hier kommentierten Musik, Tanz, Theater, Vortrag, Kunst oder Happening den Bildinhalt. Herausgekommen ist eine schillernde Ansammlung theatralischer Miniaturen, der sich niemand entziehen konnte.

Das Ensemble des Theaterlabors arbeitete dabei mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Region ebenso zusammen wie mit Schülerinnen der Karla-Raveh-Gesamtschule, die ihre Beiträge in einem morgendlichen Theater-Workshop entwickelten. Stephanie Tauberts schwere rote Samtrobe wirkte zum Anfang der Performance wie ein lebendiger Theatervorhang. Aber die Hand, die sie der Hand Gottes auf Michelangelos Deckenbild aus der Sixtinischen Kapelle entgegenstreckte, war nicht die eines unschuldigen Adam, sondern die blutbefleckte Hand einer Lady Mackbeth. Zum Teil bildeten Darstellung und Bild eine Einheit, etwa als Annelie Fasse und Edona Musa direkt aus Edgar Degas‘ Tänzerinnenbild herauszutanzen schienen. Häufig kontrapunktierte die Darstellung die Bilder, setzte kritische Pointen oder zog überraschende Schlüsse: Christian Müller zum Beispiel zeichnete in Keith Harings Stil einen Baum aus dem Hambacher Forst, mit einem Herz statt der Krone, Lisa Hoffmann stand als Botticelli-Venus knöcheltief im Plastikmüll.

Absurd komisch war der von Isabel Remer verspannt-überspitzt dargebrachte Vortrag, in dem der übergroße Hintern der “großen Odaliske” von Ingrés mit der perspektivischen Verzerrung aufgrund zusätzlicher Rückenwirbel erklärt wurde. Dagegen sammelten die gelangweilten Engelchen unter Raffaels “Sixtinischer Madonna” mit Schild und Spendendose Ab-lassgelder. Freya Müller und Paul Wiesmann lieferten zu Duchamps bärtiger Mona Lisa ein urkomisches Dada-Pas de deux ab.

Musikalische Glanzlichter setze das Duo “Vento e Corde”, das mit Saxophon und Gitarre Ca-ravaggios Falschspielerspelunke in eine rauchige Jazzbar verwandelte, und Singer-Songwriter Ron Diva besang Szenen aus der Jugend in der Provinz und gab damit dem düsteren “Ameri-can Gothic” einen fast wehmütigen, nostalgischen neuen Charakter.

Joleen Laros, Liv Leni Bitterlich, Vivien Krüger, Emilie Darmietzel, Peri Pia Ata, Daniela Hanisch und Joceline Grote, Schülerinnen der Karla-Raveh-Gesamtschule, mit der das Weserrenaissance-Museum in Zukunft enger zusammenarbeiten will, ließen mit ihren Körpern und weißen Tüchern Hokusais “Große Woge” lebendig werden. Vor Banskys “Pulp Fiction” schossen sie weder mit Waffen noch mit Bananen aufeinander, sondern machten Selfies.

Interessante Vergleiche ließen sich ziehen, wo einzelne Spieler zwei Bilder gestalteten. Melanie López López tanzte einmal zu Roy Lichtensteins “Thinking of him” mit einer bis auf ein Blatt abgezupften Aster so gespannt, dass jede Sehne aus dem Körper hervortrat und fast zu zerreißen schien wie der zerstückelte Tango aus dem Lautsprecher. Ein anderes Mal nahm sie sich den ganzen Raum und durchtanzte das Publikum genauso eruptiv lebensfroh wie die “Zwei laufenden Frauen am Strand” von Picasso. Thomas Behrend knurrte und kläffte vor Jeff Koons‘ bonbonfarbenen Riesenhündchen so lebensecht, dass man versucht war zu glauben, hier spiele nicht ein Mann einen Hund, sondern umgekehrt. Ein andermal entstieg er Munchs verstörendem “Schrei” und zeigte Gesten der Wut, der Angst, der Ohnmacht. Am Schluss streckte er, statt des verzerrten Gesichts, eine trotzige Faust durch das Loch im Bild.

Eine letzte, überraschende historische Anspielung zeigte das Ensemble zu Fragonards “Schaukel”: Pauline Miller ließ sich als adlige Rokkokodame von Zofe Lisa Hoffmann das Korsett schnüren und das Gesicht pudern. Dabei stopfte sie sich mit bloßen Fingern immer größere Stücke einer rosa Zuckertorte in den Mund. Die Zofe reagierte revolutionär, sie griff zum Lippenstift und zog in einer schnellen Bewegung einen roten Strich quer über den Hals ihrer Herrin. Der Kopf fiel – in die Torte.

Das letzte Bild, Manets “Frühstück im Garten”, inszenierten alle Aktiven mit dem Publikum zusammen auf ausgerolltem Tischtuch als fröhliches Gastmahl.

Ein rundum gelungener Abend voller Überraschungen, eben eine Wunderkammer.

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